Die Rolle der Bundeswehr-Musikkorps beim großen Zapfenstreich, bei Gelöbnissen und beim Empfang von Staatsgästen "mit militärischen Ehren"

Video: "Großer Zapfenstreich der Panzerdivision in Veitshöchheim. Gewehre, Fackeln und Militärmusik: Die 10. Panzerdivision hat in Veitshöchheim (Lkr. Würzburg) ihr 60-jähriges Bestehen mit einem Großen Zapfenstreich gefeiert. Laut Bundeswehr waren 200 Soldaten und 1.200 Gäste dabei." Quelle: Bayrischer Rundfunk, 02.10.2019

Es gibt inzwischen ZWEI offene Briefe gegen diesen großen Zapfenstreich, einen eher "weltlichen" und einen eher "kirchlichen" Brief:

Öffentlicher Appell  zur Absage des geplanten Großen Zapfenstreiches in Berlin

Frau Bundesverteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer
nachrichtlich an
Herrn Bundespräsidenten Dr. Frank-Walter Steinmeier
Frau Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel
Herrn Bundestagspräsidenten Dr. Wolfgang Schäuble
Herrn Prof. Dr. Stephan Harbarth, Präsident des Bundesverfassungsgerichts
Herrn Bischof Dr. Georg Bätzing, Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz
Herrn Landesbischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern Prof. Dr.
Heinrich Bedford-Strohm, Ratsvorsitzender der Evang. Kirche in Deutschland

Sehr geehrte Frau Bundesverteidigungsministerin,
wir Unterzeichnende dieses Appells rufen Sie als Inhaberin der obersten Befehlsund Kommandogewalt der Streitkräfte dazu auf, den – zunächst für den 31.8.2021
geplanten – Großen Zapfenstreich vor dem Reichstagsgebäude in Berlin abzusagen.

Soldatinnen und Soldaten, die aus einem zwanzig Jahre währenden Krieg in Afghanistan zurückkehren, am Ende einer Gedenkveranstaltung mit diesem militärischen und gewaltverharmlosenden Zeremoniell würdigen zu wollen, ist auch und gerade im Blick auf die zahllosen Opfer und die getöteten Bundeswehrsoldatinnen und -soldaten dieses Krieges, deren Hinterbliebene und die gegenwärtig höchst dramatische Lage Afghanistans völlig unangemessen. In diesem Zusammenhang ist an die etwa 140 afghanischen Zivilistinnen und Zivilisten zu erinnern, die durch die Anordnung eines Offiziers der Bundeswehr im September 2009 bei Kundus zu Tode gekommen sind.
Unsere Kritik bezieht sich in besonderem Maße auf den inhaltlichen Kern des Großen Zapfenstreiches: das Gebet „Ich bete an die Macht der Liebe, die sich in Jesus offenbart“.
Für Christinnen und Christen, die sich die Gewaltlosigkeit Jesu zum Vorbild ihres Handelns genommen haben, bedeutet die Intonierung dieses Gebetes mit paralleler Präsentation der Gewehre der Soldatinnen und Soldaten eine nicht hinnehmbare Verletzung ihrer religiösen Gefühle.

Jesus, der in Konsequenz seines gewaltfreien Widerstands gegen seinerzeit herrschende menschenverachtende Kräfte am Kreuz hingerichtet wurde, darf nicht für heutiges kriegerisches Tun missbraucht werden.

Der weltanschaulich neutrale Staat darf religiöse Riten und Symbole niemals für seine Zwecke instrumentalisieren, insbesondere nicht für die Rechtfertigung von Krieg und militärischer Gewalt.
 
Wir fordern Sie, Frau Kramp-Karrenbauer, als politisch Hauptverantwortliche auf, den in Berlin geplanten Großen Zapfenstreich abzusagen und dieses Ritual generell
abzuschaffen.

Wir rufen die Verantwortlichen der Kirchen und alle politischen Repräsentantinnen und Repräsentanten auf, sich für diese Forderung einzusetzen.

Freundliche Grüße!
Martin Singe und Armin Lauven (Koordinatoren dieses Appells), Martin Singe, Stiftsgasse 17 A, 53111 Bonn, 0228 / 26 46 15 // 0177 58 64 147, Mail: Martin.Singe@t-online.de   und   Armin Lauven, In der Maar 40, 53175 Bonn, 0228 / 31 42 87 // 0157 51 64 64 80, Mail: ArminLauven@gmx.de

Unterstützer*innen
Gruppen: Aktionsgemeinschaft Dienst für den Frieden (AGDF); Antikriegs-AG / Aufstehen Bonn; Arbeitskreis für Entwicklungspolitik und Selbstbesteuerung, Lindau; Bonner
Friedensbündnis; Bremer Friedensforum; Evangelisch-methodistische Kirche Bereich Villingen-Schwenningen;Gustav-Heinemann Friedensgesellschaft e.V. Siegen; Idsteiner Friedensbündnis; Initiative Musiker*innen gegen Militärmusikkorps; Internationaler Versöhnungsbund - Deutscher Zweig. Regionalgruppe Bonn-Rhein-Sieg; keine waffen vom bodensee (kwvb e.v.); LabourNet Germany; Lebenshaus Schwäbische Alb - Gemeinschaft für soziale Gerechtigkeit, Frieden und Ökologie e.V.; Ökumenische Initiative zur Reform bzw. Abschaffung der Militärseelsorge; Oldenburger Friedensbündnis; pax christi - Basisgruppe Idstein; pax christi - Deutsche Sektion e.V.; pax christi Diözesanverband Essen; pax christi - Gruppe Bonn; pax christi - Gruppe Frankfurt/M; pax christi - Gruppe Offenbach; pax christi Rhein-Main – Regionalverband Limburg-Mainz; Reiter*innen für den Frieden – Der Friedensritt, bundesweit; Stiftung die schwelle, Bremen.

Einzelpersonen: Hanne Adams, Erfurt; Helmut Adolf, Berlin ; Sylvia August, Köln; Lee BachBayram, Hohenahr; Werner Bachmann, Cölbe-Schönstadt; Ursula Balt, Bochum; Dr. Rüdeger Baron, Röthenbach; Piero Bartalesi, Frankfurt/M; Rudolf Basner, Gröbenzell; PD Dr. Johannes M. Becker, Marburg; Sigrid Becker-Wirth, Bonn; Erhard Beckers, Krefeld; Michael Behrmann, Bremen; Jutta Behrmann-Rogge, Bremen; Heinz-Dieter Benshausen, Pfr. i.R., Bremen; Joachim Bernecke, Braunfels; Ewald Biedenbach, Kassel; Matthias W. Birkwald, MdB DIE LINKE, Köln; Roland Blach, Geschäftsführer Deutsche Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK) Baden-Württemberg, Stuttgart; Volker Böge, Brisbane; Vera Bongert, Köln; Edith Brandmüller, Aschaffenburg; Klaus Dieter Brandmüller, Aschaffenburg; Prof. Dr. Thomas Bremer, Münster; Dr. Martin Budzinski, Mühlacker; Peter Bürger, Düsseldorf; Irmgard Busemann, Hamburg; Isabelle Casel, Bergisch-Gladbach; Franz Conraths, Kyritz; Susanne DeufelHerbolte, pax christi Berlin, Berlin; Klaus Dick, Ravensburg; Jürgen Dornis, Herdwangen; Hartmut Drewes, Pfr. i.R., Bremen; Dr. Wilfried Drews, Bonn; Christoph Drolshagen, Andernach; Beate Eichhorn, Lüneburg; Hartmut Eckermann, Solingen; Dr. Elisabeth Eckle, Breisach am Rhein; Uli Epple, Gemeinderat, Wasserburg (Bodensee); Otto Ersching, Sprecher DIE LINKE, Lüdenscheid; Jost-Hinrich Eschenburg, pax christi - Diözesanstelle Augsburg, Augsburg; Dietmar Euhus, Großmutz; Ilina Fach, Marburg; Frieder Fahrbach, Lindau; Etta Fennekohl, Bonn; Ute Finkh-Krämer, MdB a.D., Berlin; Bernd-Dieter Fischer, Nürnberg; Elisabeth Fischer, Nürnberg; Gerd Fischer, Nürnberg; Ulrich Franz, Attac Bonn, Bonn; Ulrich Frey, Bad Honnef; Malte Fröhlich, Tangermünde;   Julius Fröscher, Biberach an der Riß; Dr. Albert Fuchs, Meckenheim; Carla Fumagalli, Frankfurt/M; Horst Furtner, Potsdam; Johannes Gertz, pax christi - Regionalgruppe Recklinghausen, pax christi - Diözesanvorstand Münster, Herten; Josef Göbel, Berlin; Carl-Peter Greis, Wetzlar; Maria-Elisabeth Günter, Wittlich; Kathrin Grundmann, Köln; Christa Guererro, Düsseldorf; Christoph Gurlitt, Endingen; Regina Hagen, Darmstadt; Dr. Christian Harms, Überlingen; Perdita Harms, Überlingen; Dr. Dirk-M. Harmsen, Forum Friedensethik (FFE) in der Evangelischen Landeskirche Baden; Irmgard Hartmann, Neuss; Christoph Haun, Bremen; Anne Heemann-Singe, Vechta; Heijo Heidemann, Köln; Günter Hees, Köln; Steffen Heidenreich, Melle; Bernd Heilmann, Mülheim/Ruhr; Werner Heinrich, München; Henning Henrich, Wetzlar; Reinhard Herbolte, pax christi Berlin, Berlin; Johann Herlyn, Pastor i.R., Bremen; Bernhard Hesse, Bonn; Martin Hillebrand, Neuss; Michael Hiller, Mannheim; Werner Höbsch, Brühl; Lothar Höfler, Lindau; Hans-Ulrich Hofmann, Villingen-Schwenningen; Hartwig Hohnsbein, Göttingen; Helga Hohnsbein, Göttingen; Brigitte Hornstein, IPPNW Münster, Münster; Andrej Hunko, MdB DIE LINKE, Aachen; Priv.-Doz. Dr. Anne Maximiliane Jäger-Gogoll, Marburg; Monika Jennis, Essen; Manfred Jeub, Schuldekan i.R., Freiburg; Rose Kändler, Kassel; Dieter Kalthäuser, Breisach; Elisabeth Kalthäuser, Breisach; Heinz D. Kappei, Berlin; Ulfert Kaufmann, Oldenburg; Alfred Keienburg, Vorsitzender pax christi Diözesanverband Essen, Essen; Rudolf Kemmer, Wittlich; Dr. Ferdinand Kerstiens, Marl; Martina Knappert-Hiese, Kressbronn; Corry Knijff, Frankfurt/M; Gerold König, Bundesvorsitzender pax christi - Deutsche Sektion e.V., Langerwehe; Dr. Eva König-Werner, Berlin; Beate Körsgen, Versöhnungsbund, Regionalgruppe Mainz, Mainz; Ilse Koppe, Göttingen; Rolf Koppe, Göttingen; Margret Koschel, Frankfurt/M; Jens Koy, Bonn; Constanze Kraft, Pfrn. i.R., Berlin; Agnes Krieger, Bonn; Beate Kullmann, Aschaffenburg; Karl Laible, Lindau; Sigi Laugsch, Schwarzenbruck; Armin Lauven, Bonn; Davorka Lavrekovic, Frankfurt/M; Anning Lehmensiek, Bremen; Friedegund Lendle, Göttingen; Ekkehard Lentz, Sprecher Bremer Friedensforum, Bremen; Dr. Manfred Lotze, Hamburg; Bernhard Lübbering, Pfr. em., Recklinghausen; Irmgard Lücke, Bremen; Gisa Luu, Frankfurt/M; Heike Mahlke, Hitzacker; Ursula Mathern, Merxheim; Bernhard Meier, Bonn; Hannes Menke, Bremen; Uli Mercker, Bonn Friedensbündnis, Bonn; Mohssen Massarrat, Berlin; Monika Merkel-Neumann, Köln; Hanna Middelmann, Göttingen; Dr. Eberhard Müller, Zell a.H.; Wolfgang Neumann, Köln; Paul Oettinger; Prof. Dr. Gottfried Orth, Braunschweig; Hedwig Oser, Frankfurt/M; Martin Otto, Wetzlar; Wolfgang Pahl, Ludwigshafen; Dr. Ursula Paulus, Köln; Marion Pierrets, Oldenburg; Cornelia Praetorius, Berlin; Britta Ratsch-Menke, Bremen; Christine Rauch, Aschaffenburg; Klaus Rauch, Aschaffenburg; Martin Renner, Seelbach; Harm Ridder, Pastor i.R., Bremen; Friedrich Rolly, Darmstadt; Gerd-Rolf Rosenberger, Bremen; Dr. Johanna Rothe, Chorin; Alfons Schabarum, Köln; Walter Schäfer, Lehrer i.R., Hohenahr; Günter Schlag, Berlin; Petra Schlag, Berlin; Ruth Schlette, Bonn; Marc Schlichtherle, Bremen; Burchard Schlömer, Aachen; Michael Schmid, Gammertingen; Rainer Schmid, Aalen; Friedhelm Schneiders, Düsseldorf; Hans-Günther Schramm, Nürnberg; Hans Ludwig Schröder, Pastor i.R., Achim; Hannelore Schützenmeister, Weil am Rhein; Doris Schulz, Solingen; Jo Schulz, Köln; Uta Schumann, Erfurt; Karin Schwalm, Marburg; Rainer Seifert, Förderverein Frieden e.V., Bonn; Dr. Josef Senft, Bonn; Prof. Dr. Stefan Silber, Paderborn; Dr. Georg Singe, Vechta; Martin Singe, Bonn; Michaela Sohn, Edemissen; Margret Staal, Hattert; Christoph Stark, Neuss; Gisela Stark, Neuss; Dr. Burkhard Staude, Stauffenberg; Ilse Staude, Stauffenberg; Johannes Steffens, Remagen; Dr. Dietmar Stoller, Lindau; Friedrich Straetmanns, MdB DIE LINKE, Bielefeld; Michael Strake, Vorstandsmitglied pax christi, DV Speyer, Hütschenhausen; Helga Tempel, Ahrensburg; Konrad Tempel, Ahrensburg; Rainer van Heukelum, Bonn; Bernhard Völk, Augsburg; Michael von Whyl, Bonn; Susanne Warmuth, Aschaffenburg; Karin Warnatzsch, Gammertingen; Martin Warnecke, Pastor i.R., Bremen; Stephania Weigmann, Berlin; Schulamith Weil, Küsten; Dr. Wilhelm Wilmers, Wetzlar; Jürgen Willner, Bremen; Bernd Wipper, Überlingen; Dr. Gernot Wirth, Bonn; Dr. Theodor Ziegler, Baiersbronn; Dr. Inge Zimmer, Hürth.

Offner Brief mehrere Theolog*innen und Professor*innen

 

An

Präses der Synode der EKD

Ratsvorsitzender der EKD

 

Sehr geehrte Frau Heinrich,

sehr geehrter Herr Bedford-Strohm,

 

weil der für den 31. August geplante „Große Zapfenstreich“ vor dem Reichstag zur Rückkehr der deutschen Soldaten aus Afghanistan aufgrund der aktuellen Situation verschoben wurde, ist es Ihnen bislang erspart geblieben, sich dazu verhalten zu müssen, er ist aber nur aufgeschoben. Deshalb treten wir mit diesem Brief an Sie heran, denn uns erscheint es unangemessen, dass Repräsentant*innen der Kirche an diesem Ritual teilnehmen, und sei es in der zweiten Reihe. Aus zwei Gründen, einem auf die Situation bezogenen und einem generellen, halten wir es für geboten, dass sich Repräsentant*innen der Ev. Kirche in Deutschland an einem solchen Zeremoniell nicht beteiligen, und wir bitten Sie dringlich, mögliche Einladungen abzulehnen.

 

1. Die Zeremonie des Großen Zapfenstreichs ist das denkbar ungeeignetste Mittel, den zurückgekehrten Soldat*innen und ihren afghanischen Mitarbeiter*innen Respekt zu erweisen und sie in ihrer hochkomplexen Gefühlslage von Scheitern, Trauer und Trauma, Vertrauensverrat und großer Angst um die Zukunft in Afghanistan nicht allein zu lassen. Das höchstrangige staatliche Ritual militärischer Ehrung kann in dieser Situation öffentlich nicht anders verstanden werden als Zynismus gegenüber den Opfern einer gescheiterten Politik. Zu diesen Opfern gehören auch und vor allem viele Menschen in Afghanistan, die den Repressionen des Taliban-Regimes ausgesetzt bleiben.

 

2. Das Ritual des Großen Zapfenstreichs tradiert eine im preußischen Königtum geschaffene Glorifizierung und gesellschaftliche Sonderstellung des Militärs. Es ist mit einer nicht-militaristischen Demokratie unvereinbar.

 

- Die Zeremonie baut auf der religiösen Überhöhung und Weihe militärischer Bereitschaft und militärischer Einsätze auf. Der zentrale Einsatz des der christlichen Mystik zuzurechnenden Tersteegen-Liedes „Ich bete an die Macht der Liebe“, zudem als „Gebet“ angekündigt, ist eine blasphemische Funktionalisierung der gewaltlosen Liebesbotschaft Jesu für einen militärischen Festakt.

 

- Eine öffentliche Zeremonie, die mit ihrem Ritual Muslime und

Menschen ohne Religions- oder Kirchenzugehörigkeit ausgrenzt, ist unvereinbar mit dem religiösen Neutralitätsgebot unserer Verfassung.

 

- Es ist ein Zeugnis für die Verhaftung unserer Demokratie in preußisch-militaristischen Traditionen, dass sie für die Verabschiedung von Bundespräsident*innen und Bundeskanzler*innen am „Großen Zapfenstreich“ als Ritual festhält. Der frühere Bundespräsident Gustav Heinemann wusste noch um das Unpassende dieses Ritus in einer demokratischen Gesellschaft und hat sich anders aus dem Amt verabschieden lassen. Die von ihm gesetzte Spur ist wiederaufzunehmen.

 

Wir sehen die Aufgabe der Kirche in der Begleitung von Menschen, die am Krieg in Afghanistan eingesetzt waren, in seelsorglichen und gottesdienstlichen Angeboten. Für geboten halten wir also die generelle Enthaltsamkeit kirchlicher Repräsent*innen gegenüber einer Teilnahme am Großen Zapfenstreich und ein kirchliches Drängen bei den staatlichen Organen, zu anderen, der Demokratie angemessenen Formen ziviler und zivilisierter Ehrung bzw. – wie in diesem konkreten Fall – öffentlicher Trauer- und Traumabegleitung zu finden, die die Opfer in Afghanistan nicht ausschließt. Angemessen und hilfreich dafür wäre eine Nach-Denk-Veranstaltung, die die (Vor-) Geschichte der militärischen Einsätze und Kriege in und um Afghanistan, die deutsche Beteiligung, deren Begründung und Auswirkungen kritisch, also auch in dezidiert nicht-militärischer Perspektive thematisiert. Die Expertise dafür ist in den zahlreichen Einrichtungen vorhanden und abzurufen, die vielfach auch mit kirchlichen Finanzmitteln unterstützt werden: Friedensforschung, Entwicklungszusammenarbeit, Menschenrechtsorganisationen, Flüchtlingshilfe und Zusammenschlüsse geflüchteter Menschen aus Afghanistan.

 

Wir bitten Sie, unseren Einspruch an die Mitglieder der Synode und des Rates weiterzuleiten. Wir halten es für notwendig, dass die Meinungsbildung zu diesem Thema öffentlich und nachvollziehbar stattfindet und wollen unser Anliegen deshalb auch selbst und mit Blick auf die kommende EKD-Synode öffentlich machen.

 

Mit freundlichen Grüßen!

Prof. Dr. Klara Butting, Uelzen;

Theo Christiansen, Hamburg;

Propst Thomas Drope, Pinneberg;

Prof.em. Dr. Hans-Martin Gutmann,

Hamburg; Ulrich Hentschel, Hamburg; PD Dr. Jörg Herrmann, Hamburg;

Hans-Gerd Klatt, Bremen;

Dr. Uwe-Karsten Plisch, Berlin;

Andreas Seiverth, Ruhpolding

 

Weitere Unterzeichner:innen: Dr. Friedrich Brandi, Hamburg; Matthias-W. Engelke, Köln; Astrid Marhoff, Berlin; Prof.em. Dr. Gottfried Orth, Braunschweig/Rothenburg odT; Rainer Schmid, Ulm



Quelle: IMI, Sept. 2019: "Zapfenstreich?"
Der Zapfenstreich stammt ab vom Signalspiel der Flöter und Trommler in den Truppenlagern des europäischen dreißigjährigen Krieges im 17.Jahrhundert, mit dem am Abend der Bierausschank beendet wurde (der „Zapfen“ am Fass wurde symbolisch „gestrichen“). Heute besteht er aus einer festgelegten Folge von Musikstücken: stramme Marschmusik zum Ein- und Ausmarsch, getragenes, feierliches Liedgut („Ich bete an die Macht der Liebe“), die unvermeidliche Nationalhymne. Das kollektive Zwangsabsingen derselben. Die Inszenierung in der Abenddämmerung besteht aus Fackelmarsch, Antreten des Wachbataillons, „Präsentiert das Gewehr“ und „Helm ab zum Gebet“.
Das Ritual des Zapfenstreichs ist den Sinngehalten militaristischer und christlicher Traditionen verhaftet. Es lassen sich zwar unterschiedliche – manchmal sich auch direkt widersprechende – politische Inhalte oder Ideologien über den Rahmen des Rituals transportieren (Zapfenstreich als zentrales militärrituelles Ereignis der Bundeswehr und einst auch der NVA, der Nationalen Volksarmee der DDR), im Zentrum steht aber immer – unabhängig von der politischen Botschaft – die emotionale Öffnung der Einzelnen für den militärischen Gehalt im engeren Sinne, die Verkündung der absoluten Wahrheit des „gerechten Krieges“. Das Ritual untermauert durch seine religiösen Anspielungen Argumentationen des „gerechten Krieges“ mit einem Glaubensfundament: Kein Zweifel darf den Gerechtigkeitsanspruch der politischen Botschaft in Frage stellen. Die Herstellung dieser Zweifelsfreiheit benötigt den Rückgriff auf Mechanismen der Religiosität. Für den Zapfenstreich wird immer die Bedeutung seiner musikalischen Teile hervorgehoben und auf eine besondere Perfektion der musikalischen Darbietung Wert gelegt. Die Musik (Serenade) dient aber nur scheinbar dem Lob Gottes.
„Tatsächliche Aufgabe hingegen ist die Erbauung der Feiernden, die Schaffung festlicher, feierlicher Stimmungen und damit das Gefühl, einer Gemeinschaft anzugehören, die den „wahren“ Glauben vertritt.“ Der in einem derartigen Ritual gestiftete Glaube (an den „gerechten Krieg“) beinhaltet dann mindestens die Lizenz, wenn nicht sogar den Auftrag zum Töten der erklärten Feinde, seien es die imperialistischen Klassenfeinde, die geopolitischen Rivalen („böser Russe“, vielleicht demnächst wieder: „gelbe Gefahr“) oder die Gegner im Kampf gegen den Terror, Piraterie etc.. Das Militärritual insgesamt visualisiert diesen Auftrag und die Bereitschaft zu seiner Befolgung. Wenn im Gelöbnis die Rekruten aufs Töten und Sterben auf Befehl vorbereitet werden, dann zielen die Feierlichkeit und die religiös aufgeladene Liturgie des Zapfenstreichs auf die Verankerung dieser Militärlogik in der gesamten Gesellschaft. Insofern ist es nur konsequent, wenn eine neue Verteidigungsministerin, die ihr Amt mit einem Anspruch auf das Gesamtgesellschaftliche angeht, auch symbol-politisch auf Angriff setzt und zur Zapfenstreichoffensive bläst.

Traditionslinie preußisch-deutscher Militarismus

Der Zapfenstreich ist das zentrale Ritual der preußisch-deutschen Militärgeschichte. 1726 in seinen Ursprüngen erstmals schriftlich dokumentiert, wurde er 1813 vom Preußenkönig in seiner bis heute gültigen Grundstruktur festgelegt. In diese bald 300 Jahre alten Militärtradition stellt sich die BRD und ihre Armee also mit dem Zapfenstreich: Zivilbevölkerung terrorisierende Landsknechthorden, Preußischer Kadavergehorsam, bismarcksche Großmachtpolitik, wilhelminischer Kolonialwahn, blinder Hurra-Patriotismus des Ersten Weltkrieges, die paramilitärische Verfolgung republikanischer und revolutionärer Bewegungen nach 1919, der militärische Gehorsam, der den faschistischen Vernichtungsfeldzug erst ermöglichte, die Wiederaufrüstung in den Kalten Krieg hinein, die Vorbereitung des Atomkriegs, die Remilitarisierung deutscher Außenpolitik nach 1990 und schließlich die Militarisierung der Europäischen Union unter deutscher Führung – spätestens mit dem Brexit.
Diese Traditionslinie bedeutete in der Vergangenheit Millionen Kriegstote und führte zu den Angriffskriegen, die die Bundeswehr in ihrer jüngsten Vergangenheit und gegenwärtig vorbereitet und führt. Auch heute werden wieder Kriegsverbrecher mit Beförderung belohnt: Die Bombardierung unbewaffneter Zivilisten in Kundus/Afghanistan jährt sich 2019 zum zehnten Mal. Der Oberst, der den Luftangriff anforderte und gegen die Bedenken der US-Piloten durchsetzte, wurde in der Folge zum General befördert.