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Sächsische Zeitung vom 19. April 2014, Mit Glanz und Gloria
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Sächsische Zeitung, Sonnabend/Sonntag, 19./20. April 2014, Kultur, Autor Bernd Klempnow [Anm.d.Red.: Wir haben den Artikel von Hand abgetippt. Falls Sie Fehler finden, bitte melden.]

Glanz und Gloria unterm Kreuz. Erstmals sollen Soldaten bei einem Gottesdienst in Dresdens Frauenkirche musikzieren. Es regt sich Widerstand.


Gleich kommt der Musikandenstadl, wird vielleicht der denken, der Ende des Monats in Dresdens Frauenkirche sitzt. Denn der Gottesdienst beginnt mit der Eurovisions-Melodie, die als Fanfare bei länderübergreifenden Fernsehübertragungen ertönt. Sie erklingt vor Sendungen wie dem jährlichen Eurovision Song Contest und dem Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker. Sie ist vor dem päpstlichen Ostersegen ebenso wie vor den Shows "Willkommen bei Carmen Nebel" und "Wetten, dass..?" im Einsatz. Dabei ist jene Weise einer der größten Klassiker. Sie ist der Auftakt zum lateinischen Lob- und Bittgesang "Te Deum" von Marc-Antoine Charpentier, einem Franzosen aus dem 17. Jahrhundert.

Kirchendank für Flut-Taten


Besucher der Frauenkirche an jenem Abend werden vielleicht überhaupt denken, sie seien im falschen Film. Denn den Gottesdienst gestalten Musiker in Uniform - nicht die der Heilsarmee, sondern der Bundeswehr. Erstmals geschieht das in dem der Versöhnung gewidmeten Gotteshaus. Der Frauenkirchenpfarrer will beten, Sachsens Innenminister zur Kollekte aufrufen, eine Soldatin grüßen und eben das für Mitteldeutschland zusändige Wehrbereichsmusikkorps aus Erfurt musizieren. Die gut 50 Soldaten interpretieren Bachs "Air" und den Hollywood-Hit "Over the Rainbow". Für ein Hallo unter den Besuchern dürfte der Marsch "Pomp and Circumstance - Glanz und Gloria" sorgen, der gern zu Feuerwerk gespielt wird.

Doch der Auftritt des uniformierten Orchesters in der Kirche erregt Widerspruch. Unter dem Dach diverser Gremen - wie der ökumenischen Initaitive zur Abschaffung der Militärseelsorge und der Deutschen Friedensgesellschaft - haben 20 ehemalige und aktive Kirchenmitarbeiter ein Protestschreiben veröffentlicht. Sie fordern: "Das Militär hat in der Kirche nichts zu suchen! Das Wort Kirche heißt übersetzt Haus des Herrn. Aber er hat Gewaltfreiheit gelebt und gepredigt."

Für Frieden und Versöhnung


Die Unterzeichner verweisen darauf, dass Konzerte der Militärmusikkorps Gefahr laufen könnten, "vor belastendem geschichtlichen Hintergrund als Traditionspflege und als Werbung für neue kriegerische Aktionen verstanden zu werden. Schon wieder mit Gottes Segen? Selbst wenn fromme Melodien erklingen, erinnern sie daran, dass Kirchen mit Feldgesangbüchern und Heldendenkmalen die Kriege nicht nur verharmlost, sondern auch verherrlicht haben."


Die Frauenkirchenstiftung als Veranstalter gibt sich zurückhaltend. "Mit diesem Gottesdienst zeigt sich einmal mehr die Stellung der Dresdner Frauenkirche als Schnitstelle ganz unterschiedlicher gesellschaftlicher Bereiche - darunter auch der von Kirche und Staat." In all ihrem Wirken habe unverrückbar das Eintreten für Frieden und Versöhnung Primat. "Die Frauenkirche versteht sich als Ort, der Brücken in verschiedene und teilweise auch sensible Bereiche des gesellschaftlichen Lebens baut." Dazu gehöre auch die Bundeswehr.

Die Idee zu diesem Gottesdienst entstand nach der Flut im letzten Jahr, bei der Soldaten massiv im einsatz waren. Aufgrund planerischer Schwierigkeiten kam ein Termin für diesen Gottesdienst erst jetzt zustande. Daher wurde entschieden, den Fokus auf ein neues, sozial orientiertes Projekt, den Bahnhofdienst Dresden des Roten Kreuzes, zu legen. Die Kollekte des Abends ist diesem Projekt gewidmet.

Wer hat recht? Wer liegt falsch? Fakt ist: Die Militärmusik war über Jahrhunderte Bestandteil der Kriegsführung. Anfangs, weil man mit Blasinstrumenten und Trommeln weithin hörbare Signale und Nachrichten übermitteln konnte. Später wurde sie Erkennungszeichen von Verbänden, sollte die Kämpfer anfeuern. Eine ganz andere, bis heute offenbar im kollektiven Gedächtnis verwurzelte Funktion, bekam die Militärmusik als Marschmusik zum Exerzieren und großer Paraden. Kein Zapfenstreich ohne diese Klänge.

Und heute: "Wenn wir für und vor Soldaten musizieren, ist unsere Botschaft: Wir Soldaten gehören zusammen", sagt Oberstleutnant Roland Kahle, Leiter des Wehrbereichsmusikkorps aus Erfurt. Er ist 33 Jahre beim Bund, 31 Jahre bei der Militärmusik und weiß auch: "Es gibt viele Menschen, auch außerhalb Deutschlands, die unsere Musik lieben. Deshalb gastieren wir viel." 140 Auftritte im In- und Ausland pro Jahr absolviert sein Ensemble - beileibe nicht nur Märsche, sondern die ganze Bandbreite an klassischem und Unterhaltungsrepertoire für ein von Blasinstrumenten und Schlagwerken geprägtes Orchester. Weisen der Sinfonik über die der volkstümlichen Blasmusik bis hin zur Swing- und Big-Band-Besetzung.


Man muss kein Armeefreund und kein Fan von Marschmusik sein. Was aber die Kritiker des Auftritts der Soldaten in der Frauenkirche übersehen oder ignorieren: Erstens kann man wohl die heutige Bundeswehr kaum mit anderen Armeen der deutschen Geschichte vergleichen [Anm.d.Red.: Die Bundeswehr vertraut wie ihre Vorgänger-Armeen auf Abschreckung und Gewalt, auf Kriegsflugzeuge und Kriegsschiffe, auf Panzer und Maschinengewehre, auf Uniformen und Abzeichen, auf Gleichschritt, Befehl und Gehorsam. Man lernt auch in der Bundeswehr das gezielte Töten von Menschen. Man akzeptiert als Kollateralschäden" auch tote Kinder und Zivilisten, wie die Bombadierung des Tanklastzuges am 04.09.2009 etwa 15 km südlich von Kunduz zeigt. Liegt auf diesem gewalttätigen Vorgehen der Segen Gottes?]. Zweitens spielten Militärkapellen in der Musikhistorie eine nicht zu unterschätzende Rolle. Viele moderne Instrumente wie das Syxofonwurden hier salonfähig. Franz Lehár, Schöpfer von Operetten-Evergreens wie "Die lustige Witwe", begann seine Karriere beim Militär. Er war der jüngste Kapellmeister der k.u.k.-Armee. Vielleicht sind seine Werke deshalb solcher Schiss?


Willkommener Medienrummel


Und diese Kapellen spielen oft Tanzmusik wie Walzer, Polka und Schlager für Bevölkerungsschichten, die sich den Eintritt in Ballhäuser nicht leisten konnten. Ebenso musizieren sie bei den Aufführungen vor Massen feierliche und religiöse Kompositionen. So, wie eben auch Ende April in der Frauenkirche. "Musikalisch wird der Gottesdienst von einem Repertoire geprägt sein, das dem geistlichen Raum und dem Charakter der Veranstaltung entspricht", sieht sich die Frauenkirchenstiftung im Recht. Sicher nur ein Nebenaspekt: Die Musiker in Uniform werden zwar auch an der Waffe ausgebildet, würden aber im Falle des Falles als Sanitäter eingesetzt.


Freilich hat die Bundeswehr ein Problem. Mit der Abschaffung der allgemeinen Wehrpflicht und der deutlichen Verkleinerung des Bestandes ist die Armee nicht mehr so präsent in der Gesellschaft. Die Gewinnung von Berufssoldaten wird schwieriger. Also tut die Bundeswehr viel, um möglichst medienwirksam in der Öffentlichkeit wahrgenommen zu werden.


"Es ist eine große Auszeichnung für uns, ind er Frauenkirche in Uniform musizieren zu dürfen", sagt Oberstleutnant Roland Kahle. Sie würden ja regelmäßig in Kirchen auftreten, doch die große Offenheit der Frauenkirche sei schon ungewöhnlich. Kritiker des Auftritts halten dagegen: "Gottesdienste sind grundsätzlich kein Ort für Imagepflege und Werbung in eigener Sache."

Was tun? Im Zweifel Johann Sebastian Bach befragen. Der hat fast immer eine Antwort oder kann mit einer Menschlichkeit trösten oder besänftigen: Entsprechend steht er auf dem Programm der Soldaten mit dem Choral "Jesus bleibet meine Freude, meines Herzens Trost und Saft. Jesus wehret allem Leide."

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Bildunterschrift: "Die Blickrichtung stimmt. Oberstleutnand Roland Kahle dirigiert das Wehrbereichsmusikkorps III Erfurt, das nun auch in der Dresdner Frauenkirche musizieren will." (Foto ddp/Thomas Jentzsch)