Offener Brief
Erich Busse, Pfarrer, Oehmestr. 6, 01277 Dresden

Herrn
Landesbischof Jochen Bohl
Bischofskanzlei
Rampische Straße 29
01067 Dresden

Herrn Pfarrer Sebastian Feydt
Stiftung Frauenkirche Dresden
Georg-Treu-Platz 3
01067 Dresden

 

Bundeswehr mit klingendem Spiel in der Frauenkirche

Dresden, den 07.04.2014

 

Hochverehrter Herr Landesbischof Bohl,
sehr geehrter Herr Pfarrer Feydt,


mit großem Befremden nehme ich zur Kenntnis, dass die Frauenkirche zu einem Gottesdienst einlädt, der unter Mitwirkung eines Musikkorps der Bundeswehr stattfinden soll. Die Kollekte dieses Gottesdienstes soll einem wohltätigen Zweck zugeführt werden.


Die Bundeswehr steht für den Geist der Lösung von Konflikten mit Waffengewalt. Das zeigt nicht zuletzt der Einsatz in Afghanistan. Das Musikkorps gehört zur Bundeswehr. Die Militärmusiker dienen der Imagepflege.


Ich fürchte, es geht hier langfristig darum, ein engeres Verhältnis zwischen Kirche und Armee aufzubauen. Ich kann mir nicht helfen, aber ich sehe darin einen Paradigmenwechsel und eine Gefährdung der Glaubwürdigkeit des Friedenszeugnisses der Evangelischen Kirche.


Das alles auf dem Hintergrund der speziellen Geschichte dieser Kirche:


Aufgebaut als Zeichen der Behauptung der Bürgerschaft gegen einen absolut herrschenden König.


Begleitet von den Bemühungen des Grafen Brühl, auf das Dach der Kirche ein großes „A“ zu montieren, als Zeichen, dass August das Sagen hat. Superintendent Löscher hat in einer Zeit, in der Bürger wegen Unbotmäßigkeit schon mal über Nacht nach Königstein gebracht wurden, durchgesetzt, dass ein Kreuz auf das Dach kommt, eben jenes, das heute in der Kirche zu sehen ist.


In dieser Kirche wurde für den Sieg Kaiserdeutschlands und noch mehr für den Sieg Hitlerdeutschlands gebetet.


Diese Kirche war Sitz des Nazi-Bischofs von Sachsen, der in SA-Uniform umherlief und für den Gottesdienst den Talar über die SA-Uniform zog.


Die Ruine dieser Kirche war Jahrzehnte Symbol der Sinnlosigkeit und Grausamkeit von Kriegen, mithin in welche Katastrophen Menschen gehen, wenn sie glauben, man könne die Welt mit Waffengewalt besser gestalten.


Die Ruine dieser Kirche wurde in der DDR zum Symbol von Bürgermut und demokratischen Ungehorsam.


Der Wiederaufbau der Kirche war nur möglich, weil sie weltweit zum Symbol der Versöhnung und der eindeutigen Abkehr Deutschlands vom Geist des Militarismus wurde.


Als solche zeige ich sie ausländischen Besuchern.

Diese Kirche macht jedes Jahr, besonders um den 13. Februar herum, klar, dass die evangelische Kirche mit dem Geist der Lösung politischer und internationaler Konflikte durch Waffengewalt gebrochen hat. So auch 2014.


So habe ich das bis jetzt immer verstanden.


Ich habe nicht den „Ehrendienst in der Nationalen Volksarmee“ verweigert, damit die Bundeswehr heute durch die Frauenkirche den „Segen der Kirche“ erhält.


Nun höre ich sagen, die Bundeswehr, das ist etwas ganz anderes als alle Armeen, die es bis jetzt in Deutschland gegeben hat. Ich höre, es geht um den Schutz unserer Freiheit.

 

Beides kann ich so nicht sehen. 

 

Noch ist die Frage nicht beantwortet, was wir in Afghanistan zu suchen haben? Afghanistan hat uns nie den Krieg erklärt, hat uns nie überfallen. Selbst Karsei, von Amerikas und der Ölkonzerne Gnaden, sagt, außer Toten und Tränen ist nichts gewesen.

 

Alle Welt weiß, es geht nicht um unsere Freiheit sondern um Bodenschätze und Machtpolitik.


Im Jahre 1990 hat uns Helmut Kohl versprochen, die deutsche Einheit aus der „Friedensdividende“ zu bezahlen. Das ist heute vergessen.

 

Statt die Bundeswehr abzuschaffen, wird ständig darüber nachgedacht, wo sich neue Aufgaben finden lassen.

Im Jahre 2014 gedenken wir des Beginns des 1. Weltkrieges, der Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts.


Wäre in diesem Erinnerungsjahr nicht ein öffentliches Schuldbekenntnis der Kirchen angebrachter?


Ein Schuldbekenntnis, dass die Kirchen in den vergangenen Jahrhunderten Waffen und Soldaten gesegnet und Kriege heilig gesprochen haben und dadurch mitverantwortlich sind für unendliches Leid, das über Menschen und Völker gebracht wurde.

 

Ein Schuldbekenntnis, dass die Kirchen die Soldaten mit Festgottesdiensten in den 1. Krieg geschickt haben.


Ein Schuldbekenntnis, dass die Kirchen in Lehre und Verkündigung den Obrigkeitsgehorsam über die Nächstenliebe, das Menschenreich über das Gottesreich gestellt haben.


Ein Schuldbekenntnis, dass Pazifisten in den eigenen Reihen und solche, die zu Versöhnung zwischen den Völkern gemahnt haben, „kalt gestellt“ wurden.


Ein Schuldbekenntnis, dass die Kirchen zu Völkermord und anderen Verbrechen der Regierungen und der jeweiligen Armeen geschwiegen haben.


Ein Schuldbekenntnis, dass alle großen Kirchen in der Hitlerzeit nicht zu Befehlsverweigerung sondern zu uneingeschränktem Gehorsam aufgerufen haben.


Ein Schuldbekenntnis, dass zu den Siegen Hitlers die Glocken geläutet wurden.


Ein Schuldbekenntnis, dass die Kirchen Militärdienstverweigerer, Befehlsverweigerer und Deserteure, auch solche die deswegen zum Tode verurteilt waren, im Stich gelassen haben.


Ist es nicht schon lange an der Zeit, dass das Stuttgarter Schuldbekenntnis „Durch uns ist unendliches Leid über viele Völker und Länder gebracht worden“ in die Gesangbücher kommt und damit in die Traditionslinie der Kirche aufgenommen wird?


Müssen wir jetzt damit rechnen, dass aus den Gesangbüchern das Coventry-Gebet, das Gebet des Franz von Assisi und z.B. das Lied EG 430 „Gib Frieden, Herr…“ gestrichen werden?


Müssen wir gar damit rechnen, dass demnächst öffentliche Vereidigungen für die Bundeswehr vor der Frauenkirche stattfinden?

Die Bundeskanzlerin hat gefordert, dass die Demokratie marktkonform sein soll.


Geht es jetzt darum, die evangelische Kirche „marktkonform“ auszurichten?


Das kann nur heißen, dass die Kirche nicht mehr nach der ethischen Rechtfertigung der Tatsache fragt, dass Deutschland einer der größten Waffenproduzenten der Welt ist und auf diese Weise seit Jahrzehnten aktiv mitschuldig wird an Tod und Verstümmlung von ungezählt vielen Menschen.


Das kann nur heißen, dem Motto der DDR-Friedensbewegung „Frieden schaffen ohne Waffen“ abzuschwören.

Es geht um „differenzierte Wahrnehmung“.


Was heißt das?


Lädt die Frauenkirche zu diesem Gottesdienst die Angehörigen der Opfer des von Oberst Klein befohlenen Angriffs auf den Tanklaster ein?


Lädt die Frauenkirche Menschen aus der weiten Welt ein, die durch deutsche Waffen zu Invaliden wurden? Diese alle könnten dann ein „Zeugnis der Betroffenheit“ ablegen. Die Menschen, die ein Zeugnis der „Getroffenheit“ ablegen könnten, leben ja nicht mehr.


Lädt die Frauenkirche Soldaten ein, die schwer traumatisiert aus Afghanistan zurückkamen und solche, die heute noch unter den Traumata des Vietnamkrieges leiden? Auch die könnten ein Zeugnis der „Betroffenheit“ ablegen. Sie könnten sehr viel darüber erzählen, wie sehr ihre „Wahrnehmung“ des Krieges „differiert“ von der „Wahrnehmung“ derer, die diesen Krieg befohlen haben.


Der Gottesdienst wird verantwortet – lese ich – von der Frauenkirche, vom Verteidigungsministerium und vom Sächsischen Innenministerium.


Mehr Staatsnähe geht nicht.


Steuern wir auf ein neues Bündnis von Thron und Altar zu?

Jahrhunderte hat die Menschheit versucht, Konflikte mit Gewalt zu lösen. Und doch hat Gewalt stets nur neue Gewalt hervorgerufen. Genau das, was Jesus in seiner Verkündigung immer wieder gesagt hat.

Es ist die kostbare Erfahrung der bitteren Jahre im Sozialismus, wie viel Segen und weltverändernde Kraft in der Gewaltlosigkeit steckt.

Ich habe die große Angst, dass die Evangelische Kirche dabei ist, diese Erfahrung aufzugeben und sich künftig markt- und machtkonform zu verhalten. Das wäre ein Weg weg von Jesus Christus. Das wäre nicht mein Weg.

Bei so viel Abkehr von der eindeutigen Friedensbotschaft des konsequenten Pazifisten Jesus Christus frage ich, liebe Brüder, haben Sie das alles nicht übersehen und bedacht, als Sie beschlossen haben, diesen Gottesdienst in dieser Form zu gestalten?

Wenn es jetzt wieder heißen soll: Helm ab zum Gebet, sage ich, nicht mit mir! Und ich sage: Wehret den Anfängen!

Ich werde meine Sorgen allen mitteilen, die es interessieren könnte.

Mit traurigen und ratlosen Grüßen

Erich Busse, Pfarrer, Dresden